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Ein dramatisches Kapitel im Markus-Evangelium:

(Kommentar jeweils in Rot-Braun)

Mk 3

 

1 Als Jesus wieder in die Synagoge ging, war dort ein Mann mit einer verdorrten Hand.

2 Und sie gaben Acht, ob Jesus ihn am Sabbat heilen werde; sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn.

3 Da sagte er zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte!

4 Und zu den anderen sagte er: Was ist am Sabbat erlaubt - Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? Sie aber schwiegen.

5 Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz, und sagte zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und seine Hand wurde wiederhergestellt.

6 Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen.

 

Kranke und Behinderte galten im Judentum z.Z. Jesu als Sünder und als von Gott bestraft.
Jesus aber sieht sie als Leidende, die der Solidarität und Hilfe der Mitmenschen bedürfen.

Jesus stellt den bedürftigen Menschen in die Mitte und appelliert an das Mitgefühl der anderen.

Zorn und Trauer sind seine Gefühlsreaktionen auf die Herzenshärte der Mitmenschen – aber vor allem auch auf Menschen, deren strenge Einhaltung der religiösen Vorschriften ihr Mitgefühl und ihre Hilfsbereitschaft blockiert.

Aber für die Strenggläubigen ist die Übertretung der religiösen Vorschriften die Zerstörung der Religion und die Nicht-Einhaltung der Sabbat-Ordnung nach damaliger Gesetzgebung ein todeswürdiges Verbrechen. Im Markus-Evangelium hören wir also schon im dritten Kapitel von einem Beschluss der religiösen Autoritäten, Jesus zu töten.

 

7 Jesus zog sich mit seinen Jüngern an den See zurück. Viele Menschen aus Galiläa aber folgten ihm nach. Auch aus Judäa,

8 aus Jerusalem und Idumäa, aus dem Gebiet jenseits des Jordan und aus der Gegend von Tyrus und Sidon kamen Scharen von Menschen zu ihm, als sie hörten, was er tat.

9 Da sagte er zu seinen Jüngern, sie sollten ein Boot für ihn bereithalten, damit er von der Menge nicht erdrückt werde.

 

Der Andrang von Menschen, den Jesus erlebt, deutet darauf hin, dass überall Menschen des Mitgefühls und der Hilfsbereitschaft bedürfen und vielleicht auch überall die Menschen unter der Engstirnigkeit mancher religiöser Vorstellungen leiden, da manche Religion mehr Last als Hilfe für die Menschen bedeutet.

 

10 Denn er heilte viele, sodass alle, die ein Leiden hatten, sich an ihn herandrängten, um ihn zu berühren.

11 Wenn die von unreinen Geistern Besessenen ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder und schrien: Du bist der Sohn Gottes!

12 Er aber gebot ihnen, dass sie ihn nicht bekannt machen sollten.

 

13 Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er selbst wollte, und sie kamen zu ihm.

14 Und er setzte zwölf ein, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden

15 und mit Vollmacht Dämonen auszutreiben.

16 Die Zwölf, die er einsetzte, waren: Petrus - diesen Beinamen gab er dem Simon -,

17 Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, der Bruder des Jakobus - ihnen gab er den Beinamen Boanerges, das heißt Donnersöhne -,

18 dazu Andreas, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas, Jakobus, der Sohn des Alphäus, Thaddäus, Simon Kananäus

19 und Judas Iskariot, der ihn dann ausgeliefert hat.

 

Jesus sieht offensichtlich, dass der „Andrang der vielen Menschen“ ihn an die Grenzen seiner Möglichkeiten bringt, deshalb engagiert er Mitarbeiter.
Die Solidargemeinschaft, die er hier gründet, soll aber auch „verkünden“ und „Dämonen austreiben“: Denn es geht nicht nur darum zu helfen, sondern auch die geistigen und religiösen Blockaden zu beseitigen, die Mitgefühl und Hilfsbereitschaft wegen falscher Gottesbilder und engstirniger Religionsgesetze verhindern. Angst machende Gottesvorstellungen und entmündigende Religionsvorschriften gehören wohl zu den „Dämonen“ die die Menschen lähmen, einschüchtern und unterdrücken.

Die von Jesus gegründete Solidargemeinschaft ist wohl auch eine „Ersatzfamilie“, da Jesus wohl schon frühzeitig merkte, was in den folgenden Zeilen offenkundig wird:
 Dass sein Verwandtschaftsclan, der ja das soziale Netz der damaligen Zeit war, für ihn weggefallen ist und sich zur gefährlichen Bedrohung für ihn gewandelt hat.

 

20 Jesus ging in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass sie nicht einmal mehr essen konnten.

21 Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.

 

Die Verwandten, die in frühen Kulturen das Gemeinschaftsnetz waren, auf das man sich verlassen konnte, wird zur Bedrohung, wenn man von dieser Gemeinschaft für „verrückt“ erklärt wird.

Dieses Verhalten des Familienclans ist wohl eine Angstreaktion, weil sich das gesetzwidrige Verhalten Jesu in der Synagoge und die Planung der Verurteilung Jesu durch die religiösen Autoritäten herumgesprochen haben dürfte. Um der öffentlichen Ächtung des Familienclans durch die Obrigkeit wegen Jesus zu entgehen, hat dieser Jesus für geisteskrank erklärt und versucht nun, ihn gewaltsam aus der Öffentlichkeit zu entfernen.

Die folgenden Texte zeigen, dass die Situation für Jesus in zweifacher Hinsicht sehr gefährlich wird: Durch die religiösen Autoritäten und durch den Familienclan.

 

22 Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.

23 Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben?

24 Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben.

25 Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben.

26 Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen.

27 Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern.

28 Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen;

29 wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.

30 Sie hatten nämlich gesagt: Er hat einen unreinen Geist.

 

Offensichtlich haben die religiösen Autoritäten von Galiläa die Vorgänge um Jesus in die Zentrale nach Jerusalem gemeldet; denn plötzlich tauchen die Schriftgelehrten aus Jerusalem in Galiläa (ca. 170 km entfernt) auf. Diese meinen, mit Jesus kurzen Prozess machen zu können, indem sie ihn als „vom obersten der Dämonen, von Beelzebul, besessen“ erklären. In dieser gefährlichen Situation schlägt Jesus mit einer ähnlich heftigen Aussage zurück:
„wer den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung“.

Jesus erklärt nun seinerseits die Autoritäten aus der religiösen Zentrale Jerusalem für schwere Sünder, deren Sünden niemals vergeben werden können. Während die Schriftgelehrten aus Jerusalem glaubten, die Autorität Jesu zerstören zu können, zerstört nun Jesus deren Autorität.

Aber nun kommt die zweite Gefährdung durch den Familienclan:

 

31 Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen.

32 Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich.

33 Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?

34 Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder.

35 Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

 

Offensichtlich musste Maria, die Mutter Jesu, als Köder mit den Verwandten mitgehen, um Jesus zu bewegen, sich dem Familienclan auszuliefern.

Dass Jesus der Bitte seiner Mutter nicht nachkommt, ist äußerst ungewöhnlich und für orientalische Familienverhältnisse unvorstellbar – aber dieses Verhalten Jesu macht deutlich, wie sehr er sich der drohenden Gefahr bewusst ist und die fremden Menschen, die ihn umgeben, als Schutz vor der eigenen Verwandtschaft in Anspruch nimmt.

Jesu wertet seine Verwandten nicht ab und stellt sie nicht als Bedrohung dar, sondern weitet sein Verständnis von „Familie“ theologisch aus: „Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Dadurch löst er sich von seinem Familienclan und schützt sich vor dessen Einfluss.
In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig die Gründung seiner „Ersatzfamilie“ in Gestalt der ihn begleitenden Jünger und Jüngerinnen ist, um ein neues soziales Netz zu schaffen.

 

 

 

Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de)

 

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