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Autoritätsverständnis und Autoritätspraxis Jesu
für unsere Zeit bedenken!

Anlass: Der drastischer Glaubensschwund in den Ländern der ehemaligen DDR

Versuch einer Analyse und Handlungsvorschläge für die Kirchenleitung:

Ein Appell für ein zeitgemäßes Autoritätsverständnis in Kirche und Gesellschaft

Von Manfred Hanglberger (Seelsorger und Familientherapeut)

Auf der Frühjahrsvollversammlung 2015 der Deutschen Bischofskonferenz zitierte der Apostolische Nunti­us, Erzbischof Eterovic, aus einer Studie von Dr. Olaf Müller, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionssoziolo­gie an der West­fälischen Wilhelms-Universität Münster, Umfrage-Ergebnisse über die religi­öse Situation auf dem Gebiet der ehemaligen DDR:

Im Jahr 1990, also nach dem Mauerfall, war der Anteil derer, die an Gott glaubten bei 33 %.

18 Jahre später im Jahr 2008 ist dieser Anteil nur noch bei 14 %.

Religiös zu sein, erklärten sich im Jahr 1990 in Mittel- und Ostdeutschland 37 %
und 2008 nur noch 18 %.

Dieser drastische Glaubensschwund in dieser kurzen Zeit in einem inzwischen freiheitlichen Land hat keine Parallele in einem anderen Teil der Welt.

Da ich als Kaplan im grenznahen Bereich (Pfarrei Wunsiedel) zur damaligen DDR die Möglichkeit hat­te, des öfteren Besuche im südlichen Teil der DDR (Pfarrei Saalfeld) zu machen, habe ich zusammen mit dem Kaplan von Saalfeld mit Unterstüt­zung des Bischöflichen Jugendamtes in Regensburg soge­nannte „Dritt­landbegegnungen“ (Junge Christen aus der BRD und der DDR machten gemeinsame Fe­rien in Polen) or­ganisiert und durchführt. Die vielen Gespräche und Begegnungen mit den Jugendli­chen der DDR und ihren Priestern führten später in meiner Reflexion als Familientherapeut zu folgen­den Überlegungen:

Die Menschen in der DDR haben im vergangenen Jahrhundert zwei katastrophale Zusammenbrüche einer staatlichen Autoritätsperson erlebt: des Kaisers Wilhelm II., der auch als Oberhaupt der damali­gen evange­lischen Kirche von Preußen galt, und Adolph Hitlers.

Die Hoffnungen, die auf diese Personen gesetzt wurden, und die Verehrung, die ihnen zuteil wurde, hatte eine archetypische Struktur. Aber die Verlogenheit, die krankhafte Arroganz der Macht und die skrupellose Ausnutzung der Menschen durch diese Staatsoberhäupter führte später zu einer bodenlosen Enttäu­schung, die im Bereich des Autoritätsverständnisses zu einem psychisch-geistigen Zusammenbruch und zu einem seelischen Vakuum führte. Da Kaiser Wilhelm II. dem preußischen Herrschergeschlecht entstammte und das preußische politisch geprägte Moralsystem sehr viel mit Ge­horsam und Autoritätshörigkeit zu tun hatte, war die destruktive Wirkung dieser Zusammenbrüche wohl in den ursprünglich preußischen Gebieten noch extremer als in den übrigen deutschen Ländern. Doch auch in diesen – so wurde vor einigen Jahren in einer Europa-weiten Untersuchung festgestellt – ist eine kritische Einstellung gegenüber allen Autoritäten ausgeprägter als in allen anderen Ländern – was sicher mit der spezifischen geschichtlich-politischen Er­fahrung der Menschen in Deutschland zu tun hat.

Da viele Menschen ihre Erfahrungen mit weltlichen Autoritäten, vor allem das Vaterbild und das Herrscher­bild, unbewusst auf Gott projizieren, kann der Glaube an Gott dadurch schwer belastet und so­gar zerstört werden.

Auch die Führer des SED-Staates hatten für viele Menschen dort keine positive Ausstrahlung eines „Landesvaters“, sondern erschienen nur als „Funktionäre“, als Marionetten der Sowjetmacht.

Da die Ereignisse um Kaiser Wilhelm II. und Adolf Hitler schon zeitlich so weit zurückliegen, wird die Wir­kung und Bedeutung dieser psychischen Zusammenhänge von vielen nicht mehr reflektiert und er­forscht.

Aber das Zitat im Dekalog im AT:
Ich verfolge die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation.“
drückt für einen Familientherapeuten aus, dass die Menschen der Bibel schon vor mehr als 2.500 Jah­ren erkannten, dass sich manche Probleme drei bis vier Generationen durchziehen, auch wenn wir heute dies nicht mehr als Strafe Gottes sehen. Bei manchen Familien beobachtet man, dass sich die Probleme auf dem Weg durch mehrere Generationen nicht abschwächen, sondern verschlimmern.

So ist nicht auszuschließen, dass sich das Problem einer Ablehnung einer göttlichen Autorität noch vergrö­ßert, wenn die Kirche diese Entwicklung nicht religionssoziologisch und psychologisch sehr gründ­lich ana­lysiert und sehr überlegt und differenziert ihre Verkündigung und ihre Gebetspraxis dar­auf aus­richtet.

Ein Grund für eine zusätzliche Verschärfung des Problems: Die Jugendlichen der DDR zeigten mir bei mei­nen Besuchen in der DDR vor 30 Jahren ihre Schulbücher, in denen das moderne Weltbild mit den Er­kenntnissen der Evolution und der Astronomie dargestellt waren. Gegenüber gestellt und lächerlich ge­macht waren die Weltbilder der Bibel und manche Glaubensaussagen der Kirche in diesem Be­reich.

Da viele gläubige Eltern in der damaligen Zeit die Bibeltexte noch wortwörtlich nahmen, bestand in vie­len Familien ein Konflikt zwischen einem Glauben, der sich als bibeltreu verstand und den naturwissenschaftli­chen Erkenntnissen, die den jungen Menschen in der Schule vermittelt wurden. Auch dies führte zu einer Beschädigung der Autorität, die in diesem Fall die Eltern verkörperten, aber die auch häufig auf Gott proji­ziert wird. Deshalb ist auch dieser Konflikt schädigend für den christlichen Glauben.



 

Meine Überlegungen für mögliche Reaktionen der Kirche:

1.     Das Thema „Autorität“ ist für die Kirche in Deutschland aus historischen Gründen von heraus­ragender Bedeutung!

2.     Die Entwicklung des Glaubens bei den Menschen hier – besonders bei denen, die aus der frü­heren DDR stammen - ist soziologisch und psychologisch gründlich zu analysieren, um von realistischen Fak­ten ausgehen zu können.

3.     Das Autoritätsverständnis Jesu ist im Dialog mit den politischen, pädagogischen und psycholo­gischen Erkenntnissen über eine zeitgemäße Autoritätsausübung in einer allgemein verständli­chen Weise darzu­stellen.

4.     Da das Verständnis Jesu sowohl der zwischenmenschlichen Autorität wie sein Verständnis der Autori­tät Gottes einen konfliktreichen Gegensatz gegenüber dem Verständnis der damaligen religiösen Füh­rer darstellte, war auch dieser Gegensatz einer der Gründe für seine Verurtei­lung zum Tod am Kreuz. Deshalb gehört Jesu Autoritätsverständnis und Autoritätspraxis zu den wesentlichen Inhalten christli­cher Verkündigung und christlicher Lebenspraxis.

5.     Da wir Menschen wesentliche Lebensbelastungen und Lebensängste durch autoritäre und entmündi­gende Formen der Autoritätsausübungen in Familie, Schule, Beruf und Politik erle­ben, gehört ein Wan­del der Autoritätsausübung im Sinne der Botschaft Jesu zu den wesentli­chen Erfahrungen von Erlö­sung. Dies ist in der Glaubensverkündigung der Kirche zu beden­ken.

6.     Besonders entscheidend ist es, die Autoritätsausübung Gottes sowohl gegenüber seiner Schöpfung wie gegenüber den Menschen in einer zeitgemäßen Sprache zu beschreiben. Ne­ben den neutesta­mentlichen Aussagen sind dabei vor allem die Formulierung von der „Autonomie der irdischen Wirklich­keiten“ (Gaudium et Spes, Kap 36) und die Erkenntnis der Subsidiarität auch in der Autoritätsausübung Gottes zu bedenken.

7.     Daraus folgernd wären viele Gebete in den liturgischen Texten zu verändern, die nicht mehr einem für unsere Zeit angemessenem Verständnis vom Wirken Gottes in der Welt und in der Psyche des Men­schen entsprechen (Z.B. „... der du lebst und herrschst“ als Schlussformulierung bei Orationen).

8.     Hilfreich für eine zeitgemäße Gebetssprache wäre eine zeitgemäße Glaubenslehre in den Be­reichen „naturwissenschaftliches Weltbild und christlicher Glaube“ und „Psychologie und christlicher Glaube“. Man stelle sich vor, die Kirche hätte in diesen beiden Bereichen ein ähnli­ches Ansehen wie mit ihrer „Katholischen Soziallehre“. Aber die Defizite in diesen genannten beiden Bereichen sind eklatant und müssten dringend aufgearbeitet werden.

9.     Die Kirche hat die Aufgabe, in Verkündigung und Lebenspraxis ständig deutlich zu machen, dass alle Autorität eine dienende, aufrichtende, heilende, versöhnende, prophetische – aber auch zur Verantwor­tung rufende und zu Verantwortung befähigende Funktion hat.
Die Art von Papst Franziskus, das Leitungsamt des Petrus bei den Bischofssynoden im Sinne einer „synodalen Kirche“ auszuüben, ist dafür ein hervorra­gendes Vorbild. Eine synodale Struktur der Kirche besser zu verstehen, sie auf allen Ebenen der Kirche zu ver­wirklichen, wäre ein wichtiger Schritt für eine Er­neuerung der Kirche und ein wertvoller Impuls für einen wahrhaft menschlichen Fortschritt der Kultur.

10.  Die in diesem Zusammenhang vom päpstlichen Nuntius bei der Frühjahrsvollversammlung 2015 der Deutschen Bischofskonferenz geforderten Verbesserung des medialen Engage­ments und der Predig­ten müsste also meiner Meinung nach ergänzt werden durch eine Ver­besse­rung der Glaubenslehre, der Gebete, des christlichen Autoritätsverständnisses und der kirchli­chen Autoritätspraxis.

11.  Durch diese Vorgehensweise – so glaube ich – könnte die Bewusstmachung des Gegensatzes zwi­schen vielen weltlichen Formen der Autoritätsausübung (von Vätern, Herrschern und Politikern) einer­seits und der Ausübung göttlicher und kirchlicher Autorität andererseits dazu führen, dass verhindert wird, dass negative, weltliche Autoritätsausübung auf Gott projiziert wird und dadurch den Glauben schädigt.

12.  Wenn in den weltlichen Medien Filme an die Öffentlichkeit gebracht werden - wie vor einiger Zeit der Film „Exodus“ -, wäre es wichtig, dass kirchliche Bibelwissenschaftler, Bischöfe und kirchliche Medien dazu die zeitgemäßen Erkenntnisse der Bibelexegese in einer allgemein verständli­chen Weise veröffentli­chen, um deutlich zu machen, dass die in solchen Filmen oft dargestell­ten Wei­sen der Autorität Gottes und die Art seines Wirkens in der Welt keineswegs dem christ­lichen Glauben entsprechen, sonst ha­ben solche Filme gerade für die jüngere Generation eine Glau­ben-zerstörende Wirkung. Die Macht sol­cher Bilder ist für einen gesunden Glauben meiner Mei­nung nach sehr gefährlich.



 

Ich wäre sehr froh und dankbar, wenn Papst Franziskus eine Aktualisierung der katholischen Glau­bens­lehre zu folgenden Themen anregen und veröffentlichen würde:

·          „Das Person-sein des Menschen aus psychologischer und theologischer Sicht“
(Wie wirkt Gott in der Seele des Menschen, wie hängen Therapie und Seelsorge zusammen und wie unterscheiden sie sich? Was heißt seelisches Wachstum, Reifung und Heilung im christlichen Glauben?)

·         „Das christliche Autoritätsverständnis“
(Was heißt christlich „dienen“, „zumuten“, „begleiten“ - und wie ist Subsidiarität von Gott her zu verste­hen?)

Diese Themen – so glaube ich – sind für die stark von der Säkularisierung betroffenen Länder Euro­pas von vordringlicher Bedeutung, langfristig wohl für alle Völker der Welt.

Ich habe die Hoffnung, dass die Kirche in absehbarer Zukunft zu zeigen in der Lage ist, dass ihre Glau­benslehre auch in den Bereichen „naturwissenschaftliches Weltbild“, „Psychologie“ und „Autoritätsverständ­nis“ ein ähnliches Ansehen und eine ähnliche Wirkkraft besitzt wie ihre „Katholische Soziallehre“.

Auch wäre ich sehr froh und dankbar, wenn die Theologie und die Spiritualität von päpstlichen Enzykli­ken Eingang fänden in die Gebets- und Liturgie-Kultur der Kirche und dadurch leichter auch in die Pra­xis des kirchlichen Lebens. So könnte eine solche Theologie zu einer gebeteten und das Leben prä­genden Theolo­gie werden. Wäre dafür ein beschreitbarer Weg, wenn der Papst mit der Veröffentli­chung einer Enzyklika die gesamte Gemeinschaft der Kirche dazu einladen würde, Gebete zu den we­sentlichen in dieser Enzykli­ka enthaltenen Aussagen zu formulieren? Diese Gebete könnten von der Kirchenleitung bzw. von den litur­gischen Instituten gesammelt, geprüft, evtl. überarbeitet und aussor­tiert und die besten Ergebnisse veröf­fentlicht werden. Die Qualität mancher dieser Gebete müsste so sein, dass sie als Orationen auch in der Hl. Messe verwendet werden könnten, damit auf diese Weise die breite Schicht der Kirchgänger mit diesen Glaubensanliegen in Berührung kommen. Ein solcher geist­lich-spiritueller Dialog zwischen Kirchenleitung und Kirchenbasis könnte das kirchliche Leben be­reichern und die Rezeption der kirchlichen Glaubenslehre verbessern.

Diese neue Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus, die viele alte und über Jahrhunderte vergessene Schätze der katholischen Glaubenslehre zum Verständnis der Natur als Schöpfung Gottes wieder hebt und für unsere Zeit aktualisiert, könnte eine ähnlich wichtige und anerkannte Bedeutung über die Kirche hinaus bekommen wie die „Kath. Soziallehre“!

Was weiterhin fehlt, ist die Formulierung einer Glaubenslehre, die die wesentlichen heute erkannten Dimensionen des modernen Weltbildes so aufgreift, dass sie in ihrer Faszination, Unvorstellbarkeit (Entstehung des Weltalls aus der Winzigkeit einer Singularität!!??) und Offenheit für das Transzendente erkennbar werden.
Außerdem ist eine ehrliche und kritische Darstellung der biblischen Schöpfungstexte notwendig, in der nicht nur die positiven und auch heute noch gültigen Aussagen dargestellt werden, sondern auch die überholten und zeitbedingten Aussagen und deren z.T. sehr problematischen Auswirkungen in der Kirchengeschichte.
(Ein Beispiel: Genesis 2 und 3 >>>)

Um die Glaubensinhalte von „Laudato si“, die für viele traditionell gläubige Christen revolutionär klingen dürften, besser bekannt zu machen und um zu helfen, diese ins Glaubensbewusstsein aufzunehmen, habe ich wichtige in der Enzyklika enthaltenen theologische und spirituelle Aussagen in Gebete umformuliert, die für Gottesdienste verwendet werden könnten:

 

>>> Orationen (Gebete): formuliert aus den theologischen Aussagen von „Laudato si“
>>> Schöpfungsrosenkranz mit Texten aus der Theologie und Spiritualität von „Laudato si“

>>> Zur Enzyklika „Laudato si“

 

Weitere Vorschläge zur Neu-Evangelisierung in:

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